Trachten sollen eine verstaubte Mode für die Freunde von Dicke-Backen-Musik sein? Von wegen! "Trachten sind modischer geworden. Man kann sie in vielen Situationen tragen, vom Alltag bis zu festlichen Anlässen. Das spricht heute Menschen in allen Altersklassen an", sagt Dr. Simone Spranz. Sie muss es wissen. Denn zusammen mit ihrem Mann Kasper Osthoff führt sie die Geschäfte von Spranz Landhaus & Trachtenmoden in Limburg. Seit zwei Jahren steht das Ehepaar an der Spitze des 130-jährigen Traditionsunternehmens und hat, passend zur wieder modern gewordenen Tracht, viele Abläufe im Betrieb an heutige Zeiten angepasst.
Dabei ist das Unternehmen im Jahr 1890 mit einer ganz anderen Ausrichtung gestartet. Johann Spranz eröffnete damals in der Salzgasse eine Messerschmiede, zog aber bald innerhalb der Limburger Altstadt in die Fleischgasse um, wo sich bis heute unter der Adresse 4-8 die Geschäftsräume befinden. Sein Sohn Anton führte das Geschäft weiter, fiel dann aber im Zweiten Weltkrieg. Seine Ehefrau Gertrud stand in den schwierigen Kriegs- und Nachkriegsjahren alleine mit dem kleinen Sohn Hans Günter und dem Geschäft da. "Sie war eine sehr starke Frau, und das beeindruckt mich bis heute", sagt Simone Spranz.
Von Messern über Jäger zur Tracht
Hans Günter Spranz absolvierte eine Ausbildung zum Messerschmied und zum Kaufmann und trat früh in den Familienbetrieb ein. Inzwischen hatte sich das Sortiment auf weitere Stahlwaren ausgeweitet. Zeitweise waren auch Waffen im Angebot, wodurch das Haus sich einen Kundenstamm in der Jägerschaft erarbeitete. Hans Günter Spranz war selbst als Jäger aktiv. Als Veränderungen im Waffenrecht den Verkauf von Waffen erschwerten, wurde die Jagdbekleidung ein weiteres wichtiges Standbein. Das traditionelle Geschäft mir Scheren, Messern und anderen Stahlwaren blieb aber vorerst aktuell. Im Keller in der Fleischgasse steht immer noch die komplett ausgestattete Messerschmiedewerkstatt. "Gelegentlich kommen sogar noch eingesessene Limburger und wollen ihre Scheren zum Schleifen abgeben", berichtet Simone Spranz. Dabei ist das Unternehmen seit rund 20 Jahren ein reiner Textilhändler.
Da Jagdbekleidung oft ähnlich wie Trachten gemacht und geschnitten ist, kam nach und nach diese Warengruppe dazu. Lange war das Angebot auf Gebrauchsmode ausgerichtet, beispielsweise auf wetterfeste Lodenkleidung, Jacken oder Röcke für den Alltag. "Das entwickelte sich nach und nach weiter", erinnert sich Simone Spranz. "Bis vor etwas mehr als zehn Jahren hatte mein Vater zum Beispiel keine Dirndl im Sortiment. Diese Festtagstracht ist eher eine junge Entwicklung für uns."
Ihrem Vater fiel der Wechsel aus seinem angestammten Handwerk in den Modehandel nicht schwer. "Einerseits erkannte er als Kaufmann, welcher Geschäftszweig sich am besten entwickelte. Andererseits ist er Ästhet und hat Freude an schöner Mode", berichtet die heutige Unternehmenschefin.
Auf Umwegen zurück ins Familienunternehmen
Simone Spranz selbst schlug erst eine vollkommen andere Richtung ein. Sie studierte Psychologie, absolvierte einer Ausbildung zur Psychotherapeutin, betrieb Forschung an der Frankfurter Goethe-Uni, promovierte und eröffnete dann eine Praxis in Königstein. "Ich wusste, dass mein Vater sich wünscht, dass das Unternehmen in Familienhand bleibt, aber ich konnte mich da lange nicht sehen", blickt sie zurück. Da ihre Geschwister kein Interesse daran hatten, stand die Frage nach der Zukunft aber immer im Raum und Simone Spranz freundete sich immer mehr mit dem Gedanken an, zurück in den Familienbetrieb zu wechseln. "Es ist vielleicht auch eine Altersfrage, dass man irgendwann anders auf die Familientradition blickt als mit Anfang 20", meint sie. Dann musste aber Ende 2017 schneller als erwartet eine Lösung her, weil ihr Vater für längere Zeit ins Krankenhaus musste.
"Wir mussten zusammen mit meiner Mutter schauen, dass der Betrieb weiter lief", erinnert sich die heutige Chefin. Das Jahr 2018 wurde anstrengend mit dem Trachtenhaus und der Praxis in Königstein als Doppelbelastung. Schließlich entschied sie sich zum Abschied aus ihrem vorherigen Beruf. Das fiel ihr nicht leicht. "Aber es hat sich herausgestellt, dass viele Veränderungen im Geschäft nötig waren, aber das ging nicht in Teilzeit." 2019 gab Simone Spranz ihre Praxis ab und konzentrierte sich ganz auf den Familienbetrieb in Limburg.
Das Geschäft wird moderner und digitaler
Seitdem hat sich viel verändert bei Spranz Landhaus & Trachtenmoden. "Das bedeutet nicht, dass das Geschäftsmodell meines Vaters nicht gestimmt hätte, aber bei einem Generationswechsel nach fast 60 Jahren ist klar, dass viele Felder modernisiert werden müssen", betont die Geschäftsführerin. Das erstreckte sich von einem Umbau, der die Geschäftsräume heller und moderner machte, über eine Umstellung des Sortiments auf mehr Kleidung für den Alltag bis hin zu einer personellen Aufstockung auf jetzt neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Unumgänglich war auch eine Digitalisierung vieler Prozesse von der Warenwirtschaft bis zur Homepage und dem Marketing.
Ganz neu ist ein digitales Schaufenster, in dem die Kundschaft sich vorab über das Angebot informieren und Stücke im Laden zum Anprobieren zurechtlegen lassen kann. In Zukunft soll sich diese Plattform zu einem Onlineshop erweitern. Der Einstieg in den Vertrieb über verschiedene Handelsplattformen im Internet ist geschehen. "Da muss man sehr gezielt agieren. Wir haben beispielsweise festgestellt, dass es bestimmte Warengruppen gibt, die sehr gut online funktionieren. Bei anderen hat man unendlich viele Retouren", lautet die erste Bilanz.
Tracht findet neue Freunde
Dass Tracht wieder modern ist, führt Simone Spranz auf mehrere Entwicklungen zurück. "Die Mode selbst hat sich geändert und ist modischer und eleganter geworden. Aber Tracht steht auch für einen Lifestyle, mit dem sich viele Menschen identifizieren können: alpin, bodenständig, aber weltoffen, mit Bezug zu Landleben und Natur, zugleich aber modern", sagt sie. Viele Hersteller legen zudem großen Wert auf Nachhaltigkeit und regionale Produktion. Das kommt bei den Kunden gut an.
Der Aufschwung von Oktoberfesten auch außerhalb Bayerns hilft mit. "In modernen Formen, wie sie beispielsweise Gunnar Zessel in Limburg großartig macht, spricht das viel mehr Menschen als früher an", sagt Simone Spranz. Das vergrößert den Kundekreis für Trachtenmoden, auch wenn Trachten Spranz sich aus dem niedrigsten Preissegment heraushält, das für den einmaligen Einsatz zur Oktoberfest-Party gedacht ist. Das Unternehmen verortet sich auf mittleren bis höheren Preisebenen, mit entsprechender Qualität. "Überhaupt wird die Qualität für den stationären Einzelhandel gegenüber reinen Onlinehändlern immer wichtiger", ist Simone Spranz überzeugt. "Kunden achten stärker darauf, wo und wie etwas produziert wird."
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist die Tatsache, dass es nur wenige andere Trachten-Fachhändler in einem größeren Umkreis gibt. Kunden kommen deshalb aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet und aus Gegenden bis nach Nordrhein-Westfalen hinein. Dabei spielt auch der Tagestourismus in der Limburger Altstadt eine Rolle: Viele Besucher entdecken beim Schlendern durch die Gassen das Trachtenhaus Spranz und kommen später gezielt zum Einkauf wieder. "Deshalb sind uns die Rahmenbedingungen in der Stadt und der Aufbau eines gut funktionierenden Stadtmarketings wichtig", sagt Simone Spranz, die auch im Vorstand der Händlervereinigung CityRing aktiv ist.
Bildquelle: Katha Dormagen Photography